Thomas Strobel im Gespräch: „Kein Lebensweg verläuft schnurgerade.“

Thomas Strobel ist unser Programmleiter. Er bringt gerne Menschen zusammen – darum organisiert er auch die Mentor-Programme für Schüler*innen, Eltern, Lehrkräfte, Schulleitungen und Mentor*innen. Neu dabei: die Mentor-Experten-Talks. Ein Gespräch über die Unvorhersehbarkeiten des Lebens und darüber, was junge Menschen darauf vorbereiten kann.

29 Mai 2024 | Interview

Nach seinem Abitur 1993 hatte Thomas Strobel erst mal „keinen Bock mehr auf Schule und auch nicht aufs Studium“. Das wusste er, viel mehr aber auch nicht. Ein Zeitungsartikel brachte ihn auf die Ausbildung zum Augenoptiker. Die anschließende Meisterschule brach er ab. Der nächste Plan, etwas mit Sport zu studieren, scheiterte an den strikten Aufnahmeprüfungen. Deshalb ging es nach Künzelsau zum BWL-Studium mit Schwerpunkt Kultur- und Freizeitmanagement. Nach einigen Jahren als Projektmanager in Stuttgart zog es den gebürtigen Oberschwaben zurück in die Heimat, wo er in Althausen seine eigene Eventagentur eröffnete. Das ist jetzt fast 20 Jahre her. Seit 2019 arbeitet Thomas Strobel zusätzlich als Programmleiter der Mentor Stiftung Deutschland. Erst war er als Mentor dabei, dann übernahm er die Vorbereitung und Durchführung der Inspirationstage ─ denn „organisieren und begeistern“ sind Thomas Strobels Leidenschaften.

Und deshalb treffen wir uns zu einem Interview. Mich interessiert: Wie lässt sich denn Begeisterung organisieren? Vor allem bei Jugendlichen, die oft von Erwartungen und Möglichkeiten überrollt werden. Schnell merke ich: Thomas Strobel hat Antworten und eine enthusiastische Art.

Was ihn zur Mentor Stiftung gebracht hat?

„Mich haben Menschen und ihre Lebenswege schon immer fasziniert und interessiert.“ Außerdem kann er sich gut in die Situation der jungen Leute hineinversetzen, mit denen er heute arbeitet: „In der 8. Klasse wusste ich nicht: Was sind meine Stärken? Was sind meine Schwächen? Worin bin ich gut?“ Heute sieht er, dass Schulen diese Fragen in der Regel nicht genug adressieren können. Warum eigentlich nicht? Das liege an der Grundausrichtung des Bildungssystems: „Die Schule bereitet dich nicht auf den eigenen Lebensweg vor, sondern betreibt allgemeine Wissensvermittlung. Das ist schade, geht aber aktuell kaum anders“. Strobel sieht dagegen die Eltern, das Umfeld und die Ausbildungsbetriebe in der Pflicht. Erwachsene müssten sich mehr als Mentor*innen sehen.

Ob er selbst Mentor*innen hatte?

„Ich glaube, die waren da, aber ich nahm sie nicht bewusst wahr.“ Und Vorbilder? Strobel lacht: „Ich wurde vor Kurzem in einem Workshop nach meinem Vorbild gefragt und habe Ulli Hoeneß genannt. Da gab‘s begeisterte und irritierte Blicke“. Abseits der sportlichen Erfolge kann der Fußballfan Strobel einige Eigenschaften an Hoeneß ausmachen, die er als Mentor auch den Schüler*innen mit auf den Weg geben will: die Fähigkeit Rückschläge anzunehmen, sich umzuorientieren und flexibel zu bleiben. Um für das einzustehen, was eine*n begeistert. Wie Hoeneß, der nach dem verletzungsbedingten Ende seiner Fußballprofikarriere zum erfolgreichen Topmanager des FC Bayern und zur prägenden Figur im deutschen Fußball wurde. So gesehen fällt es weniger ins Gewicht, dass Hoeneß wegen Steuerhinterziehung im Gefängnis saß oder durch seine teilweise raue Art aneckt. Im Gegenteil: Auch bei den Inspirationstagen macht Strobel die Erfahrung, dass Menschen mit Ecken und Kanten die jungen Leute besser erreichen. Das ist authentischer und zeige: „Kein Lebensweg verläuft schnurgerade“.

Ich frage mich: Wenn man nicht die Strahlkraft eines Fußballweltmeisters besitzt, wie kann man dann inspirieren? Oder anders: Was macht gutes Mentoring aus? Thomas Strobel muss nicht lange überlegen: offen sein, auf Augenhöhe reden, den Zeigefinger unten lassen und gemeinsam die nächsten möglichen Schritte für den weiteren Lebensweg besprechen. „Es geht darum, den Jugendlichen die Angst vor Entscheidungen zu nehmen.“ Ich merke: Da zeigen sich die feinen Unterschiede zwischen Vorbildern und Mentor*innen. Die einen sind teils unerreichbar. Die anderen nahbar, verständnisvoll und nehmen sich den Bedürfnissen der jungen Menschen aktiv an. Idole sind nützlich und motivierend, in Orientierungsphasen können sie aber auch einschüchtern. Denn oft brauchen wir vor allem ein offenes Ohr.

„Es geht darum, den Jugendlichen die Angst vor Entscheidungen zu nehmen.“

Thomas Strobel

31 Jahre nach seinem Abitur hat Thomas Strobel wieder Lust auf Schule – beziehungsweise viele Schulen: Mit elf Kooperationsschulen koordiniert er das Programm der Mentor Stiftung Deutschland. Immer mehr wollen dazukommen. Die Stiftung verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz mit Angeboten für junge Menschen und ihr Umfeld. Es geht um mehr als um die Entscheidung für einen Berufsweg. Im Zentrum steht die Persönlichkeitsentwicklung. „Wir möchten Jugendliche stärken, motivieren und inspirieren, um sie zu befähigen, für sich und ihr eigenes Leben gute, zukunftsfähige Entscheidungen zu treffen“, erklärt mir Strobel.

Für junge Menschen, die schon einen groben Plan haben, also zum Beispiel einen Traumberuf – aber keine Idee, ob und wie man diesen erreichen kann – gibt es seit November 2023 den Mentor-Experten-Talk: Schüler*innen verschiedener Schulen kommen mit zwei Expert*innen einer bestimmten Branche aus dem Mentor*innen-Pool zusammen. Diese berichten ganz konkret von ihren Erfahrungen und besprechen mit den Jugendlichen Berufsperspektiven. Bei den drei bisherigen Veranstaltungen ging es um IT und Digitalisierung, Bau und Handwerk sowie Sport, Gesundheit und Wellness. Die Pilotphase ist abgeschlossen, das Format will Strobel jetzt ausweiten – on- und offline.

Was nehmen die Schüler*innen mit?

Strobel war selbst überrascht: Viele Jugendliche hätten das erste Mal das Gefühl, dass fremde Erwachsene sich einfach so mit ihnen unterhalten und sie ernst nehmen. Und er stellt immer wieder fest, dass die jungen Menschen „verändert aus den Gesprächen gehen“. Was genau das Mentoring bewirkt, zeige sich oft erst längerfristig, weshalb die Stiftung ihr Programm in Zukunft mehr und besser evaluieren möchte.

Manchmal kommt das Feedback aber auch ganz direkt und authentisch: „In einer Abschlussrunde hat sich ein Schüler gewundert, dass Mentor*innen mit Hauptschulabschluss erfolgreich im Beruf sind und gesagt, dass er nun an sein eigenes Potenzial glaubt. Da hatte ich wirklich Gänsehaut und dachte: Genau deswegen sind wir hier“.